Seite wählen

Als Investment- und Asset Manager werden wir von unseren Kunden regelmäßig nach unserer Meinung zur langfristigen Entwicklung des Berliner Immobilienmarktes gefragt. Neben Faktoren wie der geplanten Bautätigkeit und gesetzlichen Regulierungen spielt dabei vor allem die Entwicklung des Neubaubedarfs eine Rolle. Der Berliner Senat beziffert ihn in seinem Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 mit 200.000 zusätzlichen Wohnungen bis 2030. Wir stellen diese Zahlen infrage.

 

Der umstrittene Stadtentwicklungsplan

Der im August 2019 beschlossene Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2030 geht von folgender Prämisse aus: Bis 2030 gibt es einen Bedarf von 194.000 neuen Wohnungen. 199.000 können gebaut werden. Also wird das Angebotsdefizit 2030 vom Tisch sein. Es genügt, 5 Jahre die Mieten zu deckeln, und danach ist das Problem gelöst.

So eindeutig, wie der Bericht suggeriert, ist die Lage allerdings nicht.

So übte etwa der Fachausschuss VIII der Berliner SPD („Soziale Stadt) in seiner Sitzung vom 17.04.2010 scharfe Kritik an dem Konzept der Berliner Senatsverwaltung: „Die Bedarfsrechnung des Stadtentwicklungsplans (StEP) Wohnen 2030 fußt auf überholten Zahlen, deren Verwendung großen Schaden für die Berliner Wohnungsversorgung verursachen wird.“ In ihrer eigenen Schätzung kommt die SPD auf einen Bedarf von etwa 100.000 Wohnungen mehr.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hatte die Umsetzung des Plans im Juni desselben Jahres zunächst mit der Begründung gestoppt, er sei „angesichts der wachsenden Einwohnerzahl zu wenig ambitioniert“. Letztendlich wurde er doch beschlossen und mit einer Maßnahmenliste versehen, mit der der Wohnungsbau ausgeweitet und beschleunigt werden soll.

 

Unsere Einschätzung

Die Bedarfsfrage ist der zentrale Ansatzpunkt bei der Lösung des Wohnungsproblems. Deswegen haben wir uns die Hypothesen des StEP 2030 ein wenig genauer angesehen:

  • Hypothese 1: Es gab Ende 2016 ein Angebotsdefizit von 77.000 Wohnungen
  • Hypothese 2: Die Einwohnerzahl wächst von Ende 2016 bis Ende 2020 um 106.000 Einwohner
  • Hypothese 3: Die Einwohnerzahl wächst von 2021 bis 2030 um 75.000 Einwohner

Hypothese 1 – Es gab Ende 2016 ein Angebotsdefizit von 77.000 Wohnungen:

Auf Seite 32 des Stadtentwicklungsplans wird ausgeführt, dass sich aus dem zu geringen Wohnungsneubau zwischen 2013 und 2016 ein Entlastungsbedarf von 77.000 neuen Wohnungen ergibt. Einiges deutet darauf hin, dass diese Prognose zu gering ausfällt.

So weist etwa das Immobilienunternehmen Guthmann Estate in seinem Wohnmarktreport darauf hin, dass es Ende 2018 ein Defizit von 205.000 Wohnungen gegeben hat. Man kann also eher von einem Defizit in Höhe von 135.000 – 180.000 Wohnungen ausgehen. Bei der Präsentation des Wohnungsmarktberichts 2018 konstatierte auch IBB-Vorstandsvorsitzender Dr. Jürgen Allerkamp ein Angebotsdefizit von 135.000 Wohnungen.

 

Hypothese 2 – Die Einwohnerzahl wächst von Ende 2016 bis Ende 2020 um 106.000 Einwohner:

Bis Ende 2019 belief sich das Wachstum auf 90.000 zusätzliche Einwohner. Dabei zeigte sich die Entwicklung vor allem im Jahr 2019 verlangsamt. Insgesamt verzeichnete die Hauptstadt während dieses Jahres 12.000 neue Einwohner. Die Einschätzung sollte also in diesem Punkt annähernd stimmen. Es ergibt sich ein zusätzlicher Wohnungsbedarf von 60.000 Wohnungen.

 

Hypothese 3 – Die Einwohnerzahl wächst von 2021 bis 2030 um 75.000 Einwohner:

Das würde einem Wachstum von 7.500 neuen Einwohnern pro Jahr entsprechen. Zwischen 2010 und 2019 gab es 372.000 neue Einwohner – also ein durchschnittliches Wachstum von 41.000 pro Jahr. Die geringsten Wachstumsraten waren in den Jahren 2018 und 2019 mit 31.000 bzw. 12.000 neuen Einwohnern zu verzeichnen. Die letzte Hypothese ist entsprechend die am wenigsten wahrscheinliche. Berlin sollte aufhören zu wachsen – Weltstadt, Start-up City, Wachstumsmeisterin …fertig! Es ist besonders bewundernswert, dass das Wachstum ab der nächsten Wahlperiode plötzlich abrupt sinkt.

Dabei sollte man hinzufügen, dass die Zahlen der letzten Jahre nur die angemeldeten neuen Einwohner betreffen. Viele Zuziehende melden sich aufgrund langer Fristen beim Bürgeramt gar nicht oder zumindest verspätet an. Es ist also davon auszugehen, dass die tatsächlichen Zahlen deutlich höher sind.

Wir stehen hier vor einer reinen Augenwischerei! Lassen Sie uns drei Prognosen aufstellen: +12.000/Jahr (Fortsetzung wie im Jahr 2019), +20.000/Jahr, +30.000/Jahr. Entsprechend bräuchte man 68.000, 115.000 oder 170.000 neue Wohnungen für das Wachstum ab 2021.

 

Fazit

Es hat sich gezeigt, dass die Bedarfszahlen der StEP 2030 nicht realistisch sind. Der tatsächliche Gesamtbedarf bis 2030 ist eher mit 260.000 bis 410.000 neuen Wohnungen zu beziffern. Die Schätzung des Fachausschusses der Berliner SPD (Bedarf von 100.000 Wohnungen mehr als im StEP 2030) fällt hier mit einem Bedarf von 300.000 neuen Wohnungen in dem unteren Bereich unserer Schätzung.

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass sich das Wohnungsproblem in Berlin in den nächsten Jahren noch verschlimmern wird. Die Lage ist nicht nur dramatisch für die Mieter, sondern auch für die Wirtschaft. Entsprechend braucht es einen realistischen Plan, der die tatsächlichen Zustände berücksichtigt. StEP Wohnen 2030 in Zusammenhang mit dem Mietendeckel ist es nicht.